Der künftige Eingangsbereich der neuen Bildungs- und Gedenkstätte Pulverfabrik Liebenau. © Melanie Schwarzien / Lindener Baukontor

20. April 2022

Pulverfabrik Liebenau: Ein wichtiger Erinnerungsort wird gestaltet

Die ehemalige Pulverfabrik in der niedersächsischen Gemeinde Liebenau war einer der größten Rüstungsbetriebe der NS-Zeit. Tausende Zwangsarbeiter:innen wurden dort grausam ausgebeutet, viele von ihnen ermordet. Um an ihr Schicksal zu erinnern und ihre Geschichte aufzuarbeiten, entsteht eine neue Bildungs- und Gedenkstätte – ein Ort des Erinnerns, des Lernens und der Begegnung.



Bis vor Kurzem wurde hier noch die Schulbank gedrückt, doch schon bald sollen Vereine und Institutionen einziehen: In der ehemaligen Hauptschule in Liebenau im Landkreis Nienburg/Weser entsteht ein neues Bildungs- und Begegnungszentrum. Auch die Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau bekommt hier einen eigenen Ort. Der Verein arbeitet seit gut zwei Jahrzehnten die Verbrechen der Nationalsozialist:innen in der ehemaligen Pulverfabrik der Gemeinde auf. Über Führungen, Bildungsveranstaltungen und Austauschprojekte fördert er die Auseinandersetzung mit dem Thema NS-Zwangsarbeit und Begegnungen zwischen Jugendlichen aus den Ländern Europas.

Die ehemalige Hauptschule der niedersächsischen Gemeinde Liebenau wird in ein Bildungs- und Begegnungszentrum umgebaut. Neben Einrichtungen wie der Jugendhilfe und der Migrationsberatungsstelle bezieht auch die Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau einen Teil des Gebäudes.
Die ehemalige Hauptschule der niedersächsischen Gemeinde Liebenau wird in ein Bildungs- und Begegnungszentrum umgebaut. Neben Einrichtungen wie der Jugendhilfe und der Migrationsberatungsstelle bezieht auch die Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau einen Teil des Gebäudes.
Noch ist der zukünftige Bereich der Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau eine Baustelle. Die Mitglieder des Vereins haben die Räume in der ehemaligen Hauptschule selbst entkernt. In den kommenden Monaten werden sie renoviert und für eine neue Dauerausstellung ausgebaut.
Noch ist der zukünftige Bereich der Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau eine Baustelle. Die Mitglieder des Vereins haben die Räume in der ehemaligen Hauptschule selbst entkernt. In den kommenden Monaten werden sie renoviert und für eine neue Dauerausstellung ausgebaut.

Eine Dauerausstellung soll an einen der zentralen Orte der NS-Zwangsarbeit erinnern

Kern der neuen Dokumentationsstelle und ihrer Bildungsarbeit wird eine Dauerausstellung, die die GfG in Zusammenarbeit mit oblik identity design gestaltet. Bereits Ende 2019 hatte ein gemeinsames Team den Wettbewerb für den Gestaltungsauftrag gewonnen, bedingt durch die Corona-Pandemie kam das Projekt aber zunächst nur langsam in Schwung. „Im vergangenen Jahr konnten wir dann endlich richtig loslegen und in die Konzeption und konkrete Planung einsteigen“, erzählt unsere Kollegin Ulrike Rosemeier, die das Projekt auf Seiten der GfG betreut.

Das Gelände der ehemaligen Pulverfabrik markiert einen zentralen Ort der NS-Zwangsarbeit zwischen 1939 und 1945. Circa 20.000 Männer und Frauen aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern wurden nach Liebenau verschleppt. Sie mussten dort Pulver produzieren, das die Wehrmacht für Patronen, Granaten und andere Geschosse benutzte. Mehr als 2.000 von ihnen – vor allem sowjetische Kriegsgefangene und osteuropäische Häftlinge aus einem nahe gelegenen Arbeitserziehungslager – starben an den Strapazen oder wurden ermordet.

Etwa 400 Gebäude gehörten zur Pulverfabrik in Liebenau. Das Werk war einer der größten NS-Rüstungsbetriebe und im Auftrag des Oberkommando des Heeres (OHK) und der der Walsroder Firma Wolff & Co errichtet worden.

„Dass ein solches Gelände vollständig erhalten wurde, ist eine Seltenheit“

Neben seiner historischen Bedeutung ist das Gelände der ehemaligen Pulverfabrik auch aufgrund seiner Beschaffenheit außergewöhnlich. „Mit 12 Quadratkilometern ist es kaum vorstellbar groß. Etwa 400 Bunker und Produktionsgebäude befinden sich dort“, weiß Ulrike. „Außerdem ist das Gelände nach dem Zweiten Weltkrieg vollständig erhalten geblieben, das ist eine Seltenheit und macht den Besuch zu einer einzigartigen Erfahrung.“

Das Narrativ der Ausstellung: ein Ort der Spurensuche

Das Konzept, mit dem die GfG und oblik sich im Wettbewerb durchsetzen konnten, denkt die Ausstellung als einen Ort der Spurensuche – Spuren der Zwangsarbeitenden und der Zwangsarbeit, die diese an Orten und Menschen hinterlassen hat.

Insbesondere für die politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen, die für die Dokumentationsstelle seit 20 Jahren eine zentrale Rolle spielt, sind neue Perspektiven gesucht wurden. „Gemeinsam mit dem Team der Dokumentationsstelle setzen wir auf einen didaktischen Ansatz mit niedrigschwelligen Zugängen“, sagt David Lindemann aus dem Team von oblik. „Unser Ausstellungsnarrativ stellt persönliche Erfahrungen und Geschichten in den Mittelpunkt. Wir lassen die Zeitzeug:innen selbst zu Wort kommen, wir verknüpfen ihre Erlebnisse mit den Orten und Gegenständen der Ausstellung – und geben dem historischen Thema Zwangsarbeit so ein Gesicht.“ 

Entwurfsskizzen für das Foyer und einige der Ausstellungsräume:

Kommendes Jahr wird die neue Dokumentationsstelle eröffnet

Das Team um David und Ulrike arbeitet bereits an der Umsetzung der Ausstellung. David fasst den aktuellen Stand zusammen: „Im Moment legen wir fest, wie wir einzelne Inhalte – Exponate, Texte und Bilder – in die Ausstellung einarbeiten und verteilen. Für die Abstimmung mit der Dokumentationsstelle treffen wir uns regelmäßig vor Ort in Liebenau.“

Bei den regelmäßigen Treffen mit dem Team der Dokumentationsstelle werden alle Arbeitsschritte und Elemente der Ausstellungsgestaltung im Detail geplant und besprochen.
Bei den regelmäßigen Treffen mit dem Team der Dokumentationsstelle werden alle Arbeitsschritte und Elemente der Ausstellungsgestaltung im Detail geplant und besprochen.

Bis die Ausstellung installiert werden kann, dauert es allerdings noch ein wenig. Zunächst wird das Schulgebäude einen Anbau bekommen für das künftige Foyer der Gedenkstätte. Das am Projekt beteiligte Architekturbüro Lindener Baukontor hat gerade mit den Bauarbeiten begonnen. Parallel starten die Renovierungsarbeiten in den Innenräumen. Umbau und Renovierung sollen noch in diesem Jahr abgeschlossen sein. Die Eröffnung der Gedenkstätte ist für den Sommer 2023 geplant.



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