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Interview

„Wir versuchen, etwas zu schaffen, das uns alle verbindet“

21. Dezember 2021

Wir haben Tanja, Armando und Anselm aus dem Bremer Sozialunternehmen weserholz in ihrer Designwerkstatt besucht und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Ziele und Wünsche gesprochen.

Das Jahr neigt sich dem Ende – 2021 war ja ganz schön was los bei weserholz.

Anselm: Ja, und wie – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Am besten der Reihe nach: Wir sind ins Jahr gestartet mit zwei tollen Projekten: zum einen unserem Stuhl bintou, der in Co-Kreation bei uns entwickelt wurde und dessen Produktion wir jetzt zum Jahresende endlich mit einer Crowdfunding-Kampagne finanziert haben. Andererseits mit der High Tide Collectors Box für Werder, die wir mit Collonil, Glückstreter und Umbro gemacht haben – doch dazu später mehr. Dann haben wir im Juli unseren vierten Trainee-Jahrgang verabschiedet. Das war ein ziemlich emotionaler Einschnitt, weil unser Bildungsprogramm aufgrund sich verändernder Förderstrukturen und einer inhaltlichen Neuausrichtung bis kommenden Herbst ruhen wird. Im November haben wir beim Preis zum Bremer Sozialunternehmen den zweiten Platz belegt, das war auch ein besonderes Ereignis.

Anselm Stählin ist Mitgründer von weserholz und leitender Designer.

Ihr seid ein Designstudio und gleichzeitig ein Sozialunternehmen. Was unterscheidet euch von klassischen Unternehmen?

Tanja: Allein die Gründungsgeschichte von weserholz ist schon sehr anders, weil es unser Ziel war, die Gesellschaft zu verbessern und solidarischer zu gestalten – das ist sozusagen unser Kern, um den herum sich alles andere aufbaut. Wir hören auch oft von anderen Menschen, dass sie noch nie so viele engagierte Leute auf einem Haufen gesehen hätten wie bei weserholz. Und ich denke, das ist das, was man fühlt, wenn man mit uns zu tun hat: Dass es allen darum geht, dass es Menschen gut geht und wir in Deutschland, hier in Bremen, gut zusammenleben und arbeiten können.

Anselm: Das spiegelt sich auch in unserem Designansatz wider: Uns ist in den vergangenen Jahren immer stärker bewusster geworden, dass Design ein ganz wichtiges Mittel zur Selbstermächtigung ist und zur Selbstwirksamkeit in der Gesellschaft und Umwelt, in der man sich bewegt – die Möglichkeit, etwas zu erfinden, etwas zu schöpfen, Fragen zu stellen und Probleme dann auch für sich zu lösen.

Für eure Gründung gab es einen sehr konkreten Anlass.

Tanja: Das stimmt, das war vor ungefähr fünf Jahren. Unsere Mitgründerin Paula lernte damals Samba kennen, der aus Senegal nach Deutschland geflohen war und mit einem Duldungsstatus hier in Bremen lebte. Durch ihn erfuhr sie, wie prekär und kritisch die Situation für junge Erwachsene ohne gesichertes Bleiberecht ist: Es gibt für sie so gut wie keine Bildungsangebote und somit auch kaum berufliche Perspektiven. Das wollten Paula und Samba ändern und einen neuen Lernraum schaffen für junge Leute ohne sichere Bleibeperspektive. Und weil Lernen viel besser funktioniert, wenn es vordergründig nicht ums Lernen geht und wenn man mit allen Sinnen lernen kann, kamen sie darauf, das Ganze mit Design und Gestaltung zu verbinden. Das war die Grundidee für weserholz. Die beiden suchten dann in ihrem Umfeld nach Gleichgesinnten, und Anselm und ich waren schnell überzeugt und haben mit den beiden zusammen das Konzept weiterentwickelt und Fördermittel beschafft. Armando stieß etwas später dazu, als wir Designer:innen für einen Workshop suchten. Er war auch gleich Feuer und Flamme für das Vorhaben und schloss sich uns an.

Tanja Engel ist Mitgründerin und als Sozialunternehmerin Teil des Leitungsteams. Sie kümmert sich außerdem um die Kommunikation mit der Öffentlichkeit und die Netzwerkarbeit.

Euer Bildungsprogramm „Design als Brücke in Ausbildung“ gibt es jetzt seit vier Jahren. Wie ist dieses Programm aufgebaut?

Anselm: Bisher konnten wir jedes Jahr sechs bis sieben Traineeships vergeben. Ein Traineeship dauert zehn Monate, und es gibt einen festen Stundenplan und jeden Tag Programm. Vormittags wird vor allem Deutsch gelernt, es gibt aber auch jede Woche einige Stunden Mathematik, Berufsorientierung und Bewerbungstraining. Nachmittags geht es in die Designwerkstatt, wo gemeinsam gelernt und entwickelt wird.

Armando: In der Werkstatt wollen wir gemeinsam Perspektiven entwickeln und gestalten. Das ist ein unglaublich spannender Prozess, weil wir nicht nur die Perspektive eines einzigen Designers haben, sondern unsere Trainees sehr unterschiedliche Erfahrungen und Hintergründe mitbringen, die alle einfließen. So können wir alle voneinander lernen. Und in den Produkten, die manchmal am Ende entstehen, unseren Möbeln etwa, spiegelt sich dieser partizipative Ansatz natürlich auch wider.

Gemeinsam Perspektiven entwickeln und gestalten: die Arbeit mit den Trainees in der Designwerkstatt. © Philipp Meuser

Anselm: In der Zusammenarbeit mit den Trainees versuchen wir, etwas zu schaffen, das uns alle verbindet. Und gleichzeitig kann das nicht nur ein Konglomerat aus verschiedenen Versatzstücken sein, sondern das muss etwas Neues sein. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Stuhl bintou: Unsere Trainee Bintou hatte dazu in einem Workshop zu Multifunktionalität die Grundidee und entwickelte ein erstes Pappmodell. Dieses Modell haben wir dann gemeinsam mit allen im Team verfeinert: Wir haben Modelle gebaut, Konstruktionen getestet und Farben ausprobiert. Zum Schluss hat Armando mit seiner Expertise als Produktdesigner unseren Entwurf zur Produktreife geführt. Dank einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne kann der Stuhl bald sogar in einer kleinen Serie produziert werden.

Der Stuhl bintou, benannt nach Trainee Bintou (ganz links im Bild), ist in der Designwerkstatt gemeinsam von den Trainees entwickelt worden. © Claudia A. Cruz

Wie geht es nach dem Programm für eure Trainees weiter?

Tanja: Mehrere von ihnen haben im Anschluss den Schritt in eine sogenannte Einstiegsqualifizierung geschafft, also eine Art Probejahr in einem richtigen Betrieb und in der Berufsschule. Einige wenige fanden auch direkt eine Ausbildungsstelle. Andere sind nochmal in die Schule zurückgekehrt, weil bei ihnen der Wunsch gereift war, einen Schulabschluss nachzuholen. In jedem Fall begleiten wir den Übergang immer sehr eng und bleiben Ansprechpartner:innen, auch für die Betriebe. Das hat sich als extrem nachhaltig erwiesen, weil immer mal wieder Fragen und Probleme auftauchen und wir dann beraten und vermitteln können. Es ist auch richtig toll, dass wir zu einigen Trainees nach drei, vier Jahren noch immer Kontakt haben. Sie kommen zu Besuch und bringen Kuchen mit, den sie in der Berufsschule gebacken haben, oder sie wollen uns von einem Prüfungsergebnis erzählen oder von einem Ereignis aus ihrem Privatleben. Am meisten freut es mich, wenn sie uns sagen, dass sie inzwischen selbstbewusst sind und dass sie ausdrücken können, was ihnen wichtig ist. Denn das bedeutet, sie können für sich einstehen, und das ist so wichtig, gerade wenn du von Diskriminierung bedroht bist.

Die Trainees des zweiten Jahrgangs. Sie gingen hinterher in eine Einstiegsqualifizierung oder Ausbildung, unter anderem als Bodenleger, Fahrradmonteur, Tierpfleger und Bäcker. © weserholz

Das Programm ist eine echte Erfolgsstory. Trotzdem seid ihr gerade dabei, euch neu aufzustellen. Das wirft die Frage auf: warum?

Tanja: Zunächst einmal wollen wir ja gar nicht alles über den Haufen werfen. Wir wollen uns nur etwas mehr um die anderen Aufgaben bei weserholz kümmern, die sich im Laufe der letzten vier Jahre entwickelt haben. Das heißt, dass wir uns aus dem operativen Geschäft des Bildungsprogramms zurückziehen und uns dafür einen Kooperationspartner suchen. Dadurch können wir dann in Zukunft auch mehr Traineeships anbieten, denn bis jetzt gab es immer mehr Bewerber:innen als Plätze.

Armando: Außerdem wollen wir die Erfahrungen der vergangenen vier Jahre nutzen, um das Programm an einigen Stellen anzupassen und noch besser auf die Bedürfnisse der Trainees einzugehen. Ich denke, was wir jetzt schon sagen können, ist, dass das Lernangebot in Zukunft etwas breiter und dadurch noch abwechslungsreicher aufgestellt sein wird. Außerdem machen wir uns gerade Gedanken darüber, wie wir unseren partizipativen Designansatz noch anders vermitteln können. Das würde ich in Zukunft gerne etwas weniger theoretisch angehen und stärker darauf fokussieren, dass die Trainees ins Machen kommen, verschiedene Materialien ausprobieren und unterschiedliche Prozesse kennenlernen.

Armando Cornejo Chávez ist Produktdesigner und Praxisanleiter für die Trainees. Er wird künftig die Designwerkstatt im Bildungsprogramm leiten.

Könnt ihr die Aufgaben beschreiben, um die ihr euch künftig stärker kümmern werdet?

Anselm: Wir wollen neben dem Bildungsprogramm auch unser Studio für partizipative Gestaltung ausbauen und noch stärker mit Firmen und Institutionen arbeiten, die wir bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte, der Lösung sozialer und ökologischer Herausforderungen oder der Gestaltung der Stadt und des öffentlichen Raumes unterstützen – und das mit unseren Werkzeugen Co-Kreation und partizipativer Gestaltung. Mit unserem Angebot richten wir uns an die Stadt selbst, an Kultur- und Bildungseinrichtungen, aber auch an Unternehmen.

Tanja: Zum Beispiel haben wir für Werder Bremen, Umbro, Glückstreter und Collonil die High Tide Collectors Box für einen besonderen Werder-Sneaker gestaltet. Das war Co-Kreation auf allen Ebenen: Wir haben alle Auftraggeber:innen in die Konzeption involviert, bei uns haben Desigern:innen und Trainees gemeinsam in der Designwerkstatt gelernt, entwickelt und getestet, und auch später bei der Produktion haben wir mit anderen lokalen Produzent:innen zusammengearbeitet. Die Auftraggeber:innen hatten sich Nachhaltigkeit auf möglichst vielen Ebenen gewünscht, und genau das ist es, was wir mit unserer Art zu arbeiten schaffen können: etwas nachhaltiger zu gestalten – ob es ein Konzept ist, das Produkt selbst oder auch ein Prozess. Ich hoffe, dass wir im kommenden Jahr mehr solcher Aufträge annehmen können.

Wenn ihr sonst noch einen Wunsch frei hättet für das Jahr 2022 – welcher wäre das?

Tanja: Spontan wünsche ich mir erstmal einen neuen Ort, denn wir sind gerade auf der Suche nach Räumen, mit denen wir in der Stadt stärker präsent und noch enger an andere Unternehmen und urbane Produzent:innen angebunden sein können. Und natürlich soll auch das Bildungsprogramm einen Platz in der Nähe bekommen, wir wollen weiterhin eng verbunden bleiben und zusammenarbeiten. 

Anselm: Das deckt sich ziemlich mit meinen Wünschen. Auf jeden Fall will ich weserholz und mich persönlich weiterentwickeln.

Armando: Dass wir für unsere Projekte Stabilität schaffen, das wäre mein Wunsch. Und dass wir weiterhin mit anderen Menschen zusammen etwas bewirken können.


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