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Beteiligung

Interview

Bildung und Forschung

„Das ist ein klares Signal an alle, die Wissenschaftskommunikation machen“

28. Juni 2023

Komplexe Forschungsdaten so visualisieren, dass die Öffentlichkeit sie versteht – eine Aufgabe, die Wissenschaftler:innen und Gestalter:innen gleichermaßen herausfordert. Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) und die GfG haben gemeinsam Antworten auf die Frage gesucht, wie Infografiken gleichzeitig wissenschaftlich korrekt, einfach verständlich und wirksam sein können. Mehr dazu im Gespräch mit Andreas Klee und Matthias Güldner (FGZ) und Asja Beckmann, Marthe Trottnow und Hanke Homburg (GfG).

Prof. Dr. Andreas Klee

Direktor am Zentrum für Arbeit und Politik (zap) der Universität Bremen und Mitglied des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt Bremen 

Dr. Matthias Güldner

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am zap der Universität Bremen und Mitglied des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt Bremen (Foto: Radio Bremen)

Asja Beckmann

Creative Director für Corporate Design und Information Design

Marthe Trottnow

Expertin für Persona-Entwicklung, Design Thinking und Konzeption

Hanke Homburg

Geschäftsführer und Berater für Wissenstransferprojekte

FGZ und GfG in einem Projekt – wie naheliegend ist die Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstitut und Kommunikationsagentur?

Andreas Klee: Ich finde, in diesem Fall sehr naheliegend. Unser Ziel mit dem Forschungsvorhaben war es, wesentliche Akteur:innen in den Prozess der Wissenschaftskommunikation zu integrieren. Dafür haben wir Workshops mit Wissenschaftler:innen und mit Bürger:innen gemacht, also den Produzent:innen und Konsument:innen wissenschaftlicher Infografiken. Und mit der GfG hatten wir dabei jemanden an unserer Seite, der sich mit Kommunikation und mit der Gestaltung von Grafiken auch im wissenschaftlichen Kontext bestens auskennt.

Matthias Güldner: Das Zauberwort für viele unserer Institutsaktivitäten ist „Transfer“: Transfer von Wissenschaft in die Gesellschaft, und von der Gesellschaft wieder zurück in die Wissenschaft. Das beinhaltet, dass man mit Leuten kooperiert, die sich außerhalb der Wissenschaft bewegen. Und die Mischung aus Wissenschaft, Kommunikationsagentur und Gesellschaft in diesem Projekt, die hat sehr gut funktioniert.

Das lief immer reibungslos, trotz der verschiedenen Perspektiven?  

Andreas Klee: Ich hatte immer das Gefühl, dass allen Beteiligten klar ist, dass es unterschiedliche Perspektiven gibt und dass jede davon ihre Berechtigung hat. Wir haben alle versucht, die Dinge immer auch von der anderen Seite aus zu betrachten. Wir vom FGZ haben uns also immer auch die Frage gestellt, wie wir unsere Erkenntnisse so transferieren können, dass sie nicht nur ihren Wert behalten, sondern auch verständlich sind. Und die GfG hat sich andersrum immer auch gefragt, wie man verständlich kommunizieren und trotzdem die wissenschaftlichen Standards wahren kann.

Asja Beckann: Wir sind auch bei den Workshops nie aufgetreten wie GfG und FGZ, sondern wir waren gefühlt eine Einheit. Das Gemeinsame, das stand immer im Vordergrund.

Das Thema Wissenschaftskommunikation ist in der GfG ja nicht ganz neu.

Marthe Trottnow: Wir arbeiten seit langem mit Leuten aus der Wissenschaft zusammen. Alle vereint, dass sie für das, was sie tun ernsthafte Begeisterung haben – eine Leidenschaft. Und oft haben Forschende den Wunsch, dass die Öffentlichkeit ganz genau die Relevanz der Forschungsergebnisse versteht. Wie bekommt man also eine breite Masse dazu, sich für diese Dinge zu interessieren? Das ist die Frage, die sich Gestaltende und Forschende in der Wissenschaftskommunikation immer wieder stellen. Dazu muss man sich mit den Menschen beschäftigen, die man erreichen will und ich bin davon überzeugt, dass hier manchmal Fragenstellen erfolgreicher sein kann als Antworten geben – Hauptsache, der leidenschaftliche Wissensdurst schwappt über.

Worin lag der Reiz, in dieses konkrete Projekt einzusteigen?

Hanke Homburg: Zunächst habe ich mich sehr gefreut, dass wir nicht nur gefragt wurden: „Könnt ihr bitte etwas, das wir vermitteln müssen, für uns gestalten?”, sondern, dass das Angebot lautete: „Wollt ihr das Ganze mit uns zusammen hinterfragen?“. Denn das heißt auch, sich selbst zu hinterfragen – etwas, wozu uns häufig die Zeit fehlt. Zwar kommen wir immer wieder in den Diskurs mit Wissenschaftler:innen und Forschenden, das ist aber oft ein Ringen um die Darstellung. Dass man sich zusammen auf den Weg macht und wir uns als GfG auch in unserem Handeln und Tun als Gestalter:innen hinterfragen und selbst etwas lernen können: Bei diesem Gedanken hat es bei mir sofort „Klick“ gemacht.

Asja Beckmann: Was mich gleich gepackt hat, war die Herausforderung: Wie schafft man es, über den Transfer und die gestalterische Umsetzung auch Leute zu animieren, die bisher gar nicht oder kaum an Wissenschaft interessiert sind? Wie kriegen wir sie dazu, auf ein Thema anzuspringen, über das sie normalerweise hinweg gucken? Zusätzlich fand ich dieses „Ungefilterte“ reizvoll: Dass wir als Gestaltende direkt mit euch Wissenschaftler:innen zusammenarbeiten konnten, ohne dass noch eine PR-Abteilung dazwischen steckt. Ich denke, dass das genau der richtige Weg war.

Ihr habt die Persona-Methode mit ins Spiel gebracht, die wir in der GfG oft verwenden, um Zielgruppen näher zu beschreiben. Ließ sich das so einfach auf das Forschungsprojekt und die Teilnehmenden der Workshops übertragen?

Hanke Homburg: Das hat gut geklappt und war ein spannender Diskurs. Bei den Personas für Wissenschaftler:innen zum Beispiel haben wir im Prozess auch immer wieder Typen ausgeklammert und uns am Ende bewusst nur auf solche konzentriert, die den Schritt der Kommunikation nach außen auch von sich aus gehen wollen. Dass Matthias und Andreas diese Steckbriefe dann mitverfasst haben, die Personas also von den Protagonisten selbst beschrieben wurden, das war ebenfalls spannend zu begleiten. 

Marthe Trottnow: Die Persona-Methode klappt immer dann besonders gut, wenn sie mit validen Daten unterfüttert wird. Das können Statistiken, Umfragen, Interviews oder Beobachtungen sein. Aber niemand weiß es besser als die Zielgruppe selbst. Oft bleibt in kommerziellen Projekten keine Zeit für eine wissenschaftliche Analyse. Da kann die Methode ein guter Mittelweg sein, der Annahmen und geprüfte Fakten verknüpft. Es war schön, dass wir uns hier die Zeit dafür nehmen konnten.

Matthias und Andreas, wie habt ihr die Arbeit mit dem Persona-Modell erlebt? 

Matthias Güldner: Für uns war das die Arbeit mit etwas, das wir bis dahin nicht kannten und mit dem wir sehr kreativ einsteigen konnten. Das hat unglaublich viel Spaß gemacht. Und gleichzeitig war es interessant zu sehen und zu verstehen, welche Bedeutung das in eurer Arbeit hat und wie ihr diese Methode einsetzt.

Andreas Klee: Das ging mir genauso. Und ich habe diese Methode in diesem Semester das erste Mal selbst in einem Seminar eingesetzt. Es ging um die politische Sozialisation von Jugendlichen, und wir haben versucht, verschiedene jugendliche Typen zu beschreiben. Das ist auch ganz gut geworden.

Die Workshops haben gezeigt, dass Bürger:innen und Wissenschaftler:innen die Qualität von Grafiken zum Teil sehr unterschiedlich bewerten. Darstellungen, die die Wissenschaftler:innen für akzeptabel befanden, fielen bei den Bürger:innen durch. Müssen die Bürger:innen ihre Ansprüche herunterschrauben oder muss die Wissenschaft die Qualitätskriterien für Grafiken überdenken?

Hanke Homburg: Das ist eine schöne Frage, weil exakt so haben wir uns die selbst noch nicht gestellt. Im Grunde ist es ja gut, dass die Bürger:innen so kritisch sind, das ist ein klares Signal an alle, die Wissenschaftskommunikation machen: Guckt euch das genauer an! Als Anspruchsgruppen, mit denen man kommunizieren möchte, haben die Bürger:innen die Erwartung und das Recht, vernünftig aufbereitete Informationen zu bekommen. 

Asja Beckmann: Das ist dann ja auch unsere vermittelnde Rolle als Gestalter:innen, dass wir der Wissenschaft sagen können: „Schaut mal, so ist das zu komplex. Auch wenn ihr viel zu sagen habt, müssen wir einen Weg finden, diese Grafik zu reduzieren“. Oder wir überlegen, ob ein anderes Format besser funktionieren könnte, vielleicht etwas zum Blättern oder mit Seriencharakter. Sodass nichts verfälscht wird, aber die Menge der Informationen überhaupt erstmal aufnehmbar wird. Dabei haben wir immer auch den Kommunikationskanal im Hinterkopf, denn auch das darf man nicht vergessen: Der Kanal entscheidet wesentlich darüber, wie eine Infografik aufbereitet werden sollte. Was an der einen Stelle gut funktioniert, ist an einer anderen Stelle kaum konsumierbar.

Was sind weitere Aha-Momente, die ihr aus den Workshops mitnehmen konntet?

Matthias Güldner: Im Wissenschaftsbetrieb gibt es die Tendenz, den Text als Medium zu überschätzen. In den Workshops ist dann deutlich geworden, dass Grafiken nicht nur Beiwerk sind, sondern die Rezeption total verändern. Und die Art ihrer Gestaltung wiederum hat starken Einfluss auf die Message, die man vermittelt. Es ist eine echte Herausforderung, eine Infografik zu erstellen, die den Gegenstand wahrhaftig abbildet und dabei rezipierbar und originell gestaltet ist.

Asja Beckmann: Und umgekehrt hatte ich auch das Erlebnis, dass man manchmal nicht zu kritisch sein darf. Es kann auch Anlässe geben, wo das Diagramm die richtige Grafik ist. Da muss ich mich als Gestalterin dann zurücknehmen und in meiner Diagramm-Darstellung darauf achten, dass nichts verfälscht wird. Denn dieses Risiko der Verfälschung und Manipulation und die Verantwortung, die damit für uns Gestaltende einhergeht, sind mir auch nochmal deutlich geworden.

Andreas Klee: Bei mir hat sich noch festgesetzt, dass man vorab eine Zielklärung braucht: Wen und was möchte ich mit der Grafik erreichen? Da können wir kompromissloser rangehen und nicht nach einer Grafik streben, die für alle funktioniert, sondern berücksichtigen, für welchen Kontext und welche Menschen sie gedacht ist. 

Hanke Homburg: Und gleichzeitig sollte man sich immer auch die Frage stellen: Welche Aussage kann ich mit der Grafik überhaupt treffen? Nicht alles, was ich erzählen möchte, ist dafür geeignet. So wie man wissenschaftliche Ergebnisse im Nachhinein immer begründen können muss, muss ich das später auch für eine Infografik und ihre Aussage und Aufbereitung tun können.

Ihr habt mit den Ergebnissen gemeinsam einen Bericht verfasst. Ein klassischer Forschungsbericht ist das aber nicht.

Hanke Homburg: Es war vorher nicht klar, was dabei herauskommt. Wir durften da sehr ergebnisoffen rangehen, was ich gut fand. Erst bei unseren Treffen hat sich dann nach und nach konkretisiert, dass wir einen Handlungsleitfaden für den Umgang mit Infografiken erstellen. Der richtet sich an Wissenschaftler:innen, ist aber genauso relevant für unsere gestaltenden Kolleg:innen. Das ist als Ergebnis toll.

Andreas Klee: Es ist ein wirklicher Einstieg in die Thematik, der sofort eine Sensibilisierung auslöst. Und diese Konsequenz, über die wir bereits sprachen, dass wir Infografiken zielgruppenorientiert gestalten und dann auch zuspitzen – das ist schon eine mutige Aussage, die in diesem Bericht steckt. Eine, die man bisher selten aus Wissenschaftskreisen hört.

Asja Beckmann: Auch durch die Einbindung der vielen Grafiken und der Personas ist der Bericht sowohl visuell als auch inhaltlich eher ungewöhnlich.

Matthias Güldner: Ganzheitlich ist so ein großes Wort, aber dieser Bericht strahlt genau das aus. Er weist durch seine Aufmachung direkt auf das Thema dieses Projekts: Dass die Ergebnisse genauso wichtig sind wie ihre Präsentation, beides gehört zusammen.


Hier gibt es den kompletten Abschlussbericht und die Personas zum Download:

Abschlussbericht: „Unsere Grafik. Impulse für visuelle Wissenschaftskommunikation“

Begleitmaterial: Persona-Steckbriefe 


Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ein interdisziplinärer Verbund aus elf Forschungsinstituten, die zu Strukturen und Wahrnehmungen gesellschaftlicher Zugehörigkeit forschen. Zentrales Anliegen ist der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Website des FGZ: https://www.fgz-risc.de